Westlichster Reisepunkt auf Shikoku
In der Nacht zuvor fuhren wir an die westliche Stadt Ozu. Und dort, wer glaubt es wohl, besuchten wir auch eine Burg, die in unserem Büchlein stand. Der Großteil der Ozuburg wurde erst vor wenigen Jahren wiederaufgebaut. Hierfür wurde auch die alte Bauweise angewendet, was nicht zuletzt anhand der aufeinander liegenden und verkanteten Balken zu erkennen war. Die Räume rochen noch nach frischem Holz und Harz und gaben dem Museum ohne Fundstücke dennoch eine angenehme Atmosphäre. Bis auf einem Modellbau und einigen Informationsschildern waren die Räume leer. Im obersten Stockwerk kamen wir mit einem Japaner mittleren Alters ins Gespräch. Er erzählte von seiner Deutschlandreise nach Frankfurt und Heidelberg und wie sehr er die Zeit dort genoss.
Wieder unten angekommen trafen wir uns beim Schuhe anziehen wieder. Jede Burg durfte nur mit Socken betreten werden, was bedeutete dass wir sehr oft am Tag für Sehenswürdigekiten die Schuhe aus und wieder an ziehen mussten.
An der Kasse fragten wir nach dem speziellen Stempel nach, als uns der Herr plötzlich etwas zurief. „Stopp, please!“ Er kam auf uns zu und drückte uns einen kleinen Umschlag in die Hand. Darin war ein Siegelstempel speziell von der Burg, ähnlich wie die Stempel meines Goshuin-cho. „A presento. Thank you for visiting Japan.“
Es sind die kleinen Gesten, die das Hinterland von Japan so reizvoll machen. Die Menschen sind nicht nur ultra freundlich, sondern auch sehr dankbar, dass man sich die Mühe macht auch kleinere Städte anzuschauen. Wir können diese Art der Reise nur wärmstens empfehlen.
Nachdem wir uns beim freundlichen Herrn bedankten, mussten wir auch schon schnell zu unserem Auto zurück. Vor uns lag eine lange Fahrt zum Berg Ishizuchi, dem höchsten Berg in Westshikoku.
Wanderung zum Berg Ishizuchi
Ursprünglich wollte ich den Sonnenuntergang mit Meeresblick auf dem Berg erleben und daher etwas spät losgehen. Laut Touriinfo dauerte die Wanderung vom höchsten Parkplatz zweieinhalb Stunden. Zu überwinden: 500 Höhenmeter. Für mich ganz klar eine einfache Wanderung, die wir locker meistern konnten. Wir erreichten den Parkplatz eineinhalb Stunden früher als geplant, staunten aber nicht schlecht über den Massenandrang der Japaner. Nach dem Parken und fertig machen ging es auch schon zunächst mit Pullis los. Die Temperatur war hier oben doch um einiges kälter, als im Tal und es war auch dunkler. Immer wieder zog es die Wolken durch den Wind nach oben in die Berge.
Bereits am Anfang wurde ich von der Länge des Weges überrascht: Auf dem Wanderschild standen 4 Kilometer Weg bis zum Gipfel. Und so zog sich der Weg. Es ging rauf und dann das gelaufene wieder runter. Es ging druch matschige Wege und über feuchte, rutschige Holzbrücken, bei denen man schon beim Anstieg auf seinen Schritt achten musste. Auch die Natur um uns herum sah etwas gespenstig durch die gedrückte Stimmung und dem Nebel aus. Uns kamen in fast minütigen Abständen ausschließlich Japaner entgegen. Meist Senioren alleine oder in Wandergruppen. Auch Familien nutzten den Sonntag für eine Wanderung und die Kinder staunten nicht schlecht über uns Westler und grüßten uns mit „Hello“.
Die letzten 30 Minuten zog der Weg dann richtig an. Über steile Treppen und Stahlbrücken ging es dann direkt nach oben auf einen Gipfel. Wir erreichten ein breites Platteau mit einer Hütte und einem Schrein sogar darauf. Ich muss sagen, dass ich es etwas geahnt hatte. Shikoku -Pilgerinsel- plus höchster Berg im Westen der Insel: da kann ja nur ein Schrein zu erwarten sein. Und dann war der auch noch von einem Mönch besetzt, der mit Freunde mein Goshuin-cho um einen wunderschönen Stempel erweiterte. Was für eine Bereicherung.
Als wir uns auf dem Platz umschauten erkannten wir allerdings keinen Hinweis auf den Gipfel. War das schon alles? „Wir müssen noch weiter“, meinte Alfred plötzlich und zeigte auf einen schmalen Grat weg von uns. Puh, das war im wahrsten Sinne des Worten eine schmale Gratwanderung, die viel kraxeln und klettern versprach. Zunächst wollte ich dort nicht rüber, da der Weg wirklich sehr schmal war und ich eigentlich kein großes Risiko auf der Reise eingehen wollte. Doch dann sah ich auch die Rentnergruppen auf dem, nennen wir es, Weg sich bewegen. Und dann der Gipfel, der immer wieder zwischen den Nebelschwaden hervorblickte. Na gut – schaffen können wir den schon.
Die letzten Meter bis zum Gipfel
Über eine große Eisenkette seilten wir uns auf den schmalen Grat, ein zusammengeworfener Haufen von Steinen ab. Ich ging voran und konnte gut einen Weg zwischen den Felsen finden. Dennoch war es eine ziehmliche Kraxelei mit Klettereinheiten, Bergsteigen war das eher nicht. Es war sehr windig auf dem Grat und man musste einen sicheren Tritt haben.
Wir meisterten den Weg sehr gut und erreichten den Gipfel, der höchste Fels auf dem Grat zügig. Vor uns waren noch drei Rentner die ein Gipfelfoto machten und danach abstiegen. Für mehr Personen gab es auch keinen Platz. Als einer der Renter an mir vorbei kletterte, sah ich ihn leicht zittern. Auch die beste Kleidung für die Wanderung hatte er nicht an: Jeans und Hemd mit einer schräg umgeworfenen Laptoptasche. Er bewegte sich sehr langsam und sehr vorsichtig.
Wir kletterten auf den Gipfel, machten unser Foto, genossen für ein paar Minuten den Ausblick und stiegen dann auch schon ab. Es war zu kalt, zu windig und es wurde zunehmend dunkler. Auf dem Rückweg passierten wir den älteren Herrn. Wir fragten, ob wir ihm helfen könnten, aber er lehnte ab. Außerdem meinte er, dass wir uns beeilen sollten, da etwas schon um 18 Uhr schloss. Wir konnten nicht ganz verstehen ob er die zu einem anderen Tal gewandte Seilbahn, oder die Panoramastraße über die wir hoch gefahren sind meinte. Wer schließt denn schon Straßen, dachte ich und vermutete dass er die Seilbahn meinte.
Dringender Abstieg
Der Abstieg war sehr anstrengend. Zum einen schmerzten bereits die Muskeln während des Treppen herunter steigens, zum anderen war es richtig rutschig und glatt. Die Holzbretter erschwerten und verlangsamten unser Tempo. Mit der Zeit wurde es nicht nur immer nebliger, sondern auch immer dunkler. Alfred setzt schon sehr bald seine Stirnlampe auf, um den Weg noch erkennen zu können. Den letzten Kilometer joggten wir schließlich zum Auto, da wir uns auch nicht sicher waren, ob der ältere Herr doch die Straße gemeint hatte.
Wir erreichten das Auto in stockfinsterer Nacht keuchend. Es war fünf Minuten vor Sechs. Alfred startete das Auto und wir verließen den Parkplatz zügig, in der Vermutung, dass die Panoramastraße oben zugesperrt werden würde. Auf halber Strecke kam uns ein Fahrzeug entgegen, was unsere Vermutung verstärkte. In Wirklichkeit war dies ein Kontrollfahzeug, dass der Talstation noch die fahrenden Autos weitergab. Als wir unten ankamen, war der Weg nach oben bereits gesperrt und nur noch eine Seite der Straße offen. Das war knapp.
Etwas entspannter nahmen wir Fahrt auf Kochi auf, Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur im Süden Shikokus.